Kraft, Macht und Gewalt der Bilder in interkultureller Perspektive

Philosophische und interdisziplinäre Zugänge

Diskurse bildwissenschaftlicher und bildphilosophischer Zugänge gewinnen in steigendem Maße an Bedeutung, nicht allein in interdisziplinären, sondern auch in philosophischen Kontexten. Die Tagung möchte vor dem Hintergrund dieser aktuellen Debatten nach den Möglichkeiten eines dezidiert interkulturellen Bilddenkens Ausschau halten, das sich näherhin einem Bildsehen und Bilderfahren ebenso wie einer Bildtheorie und Bildpraxis widmet. Mit den drei unterschiedlichen, gewiss nicht trennscharf auseinander zu haltenden Ebenen der „Kraft“, der „Macht“ und der „Gewalt der Bilder“ soll insbesondere den interkulturellen, ebenso wie den transkulturellen, hybriditätstheoretischen, komparativen und weiteren Paradigmen Rechnung getragen werden. Besonders in diesen Spektren erweist sich die Themenstellung des Bildes und der Bilder als Herausforderung wechselseitiger Klärungsarbeit kultureller wie gesellschaftlicher Selbst- verständigung. Was verstehen wir unter „Bild“, wenn es die Zuschreibungen von Abbild, Urbild, Repräsentation und dergleichen hinter sich gelassen hat, und anhand „ikonischer Differenz“ (G. Boehm), „bildanthropologischer“ Situierung und bildinduziertem

„Kulturtransfer“ (H. Belting), „Bildphilosophie“ als „originärer ‚Schule des Sehens’“ (H. Rombach), „Bildformat(ierung)“ (Meyer Schapiro, D. Summers), „bildkritischer“ Metho- dik (H. Bredekamp), einem Sturz oder „Krieg der Bilder“ (W.J.T. Mitchell), „artifizieller Präsenz“ (L. Wiesing), einer semiotisch unterlegten „Wahrnehmungs- und Medientheo- rie“ (K. Sachs-Hombach), u.a. mehr, neue Weisen des Sehens, Wahrnehmens, Erfahrens und Erkennens entwickelt und „sichtbar“ macht?

Was geschieht mit dem „Bild“, wenn ihm „Regime der Bildlichkeit“ (J. Ranciere) innewohnen, oder es sich interkulturell-kritisch motiviert einem transitorischen und pro- zessualen Sehen „jenseits der Form“ stellt (F. Jullien)? Was “sagen” Bilder, was sagt Kunst, und wie sagen sie es? Texte, zumal philosophische, sprechen stets schon „über“ etwas, in möglichst abstrakter und formaler Weise. Und doch tummeln sich auch schon in diesen, um mit Nietzsche zu sprechen, ein „Heer von Metaphern“; ja was imaginieren wir nicht alles schon, entwerfen virtuell Bilder, um einen Gedanken zu verstehen. Was, um es anders zu sagen, macht ein Bild zum Bild, und worin besteht diese seine „Kraft“, seine „Macht“, und schließlich seine „Gewalt“? Wie steht es um das Verhältnis von Bild und Sprache, von Bild und Blick, von Körper und Bild? Und wie ließe sich das Verhältnis kulturimprägnierter und gesellschaftskontextueller Bilder mit einer „Politik des Bildes“ bestimmen?

Das „Bild“ reicht weit über den engen Bestimmungsraum eines „Kunstwerks“ (Malerei, Fotografie, Film, Videokunst etc.) hinaus, es ist längst zum Medium unserer alltäglichen Wahrnehmungs- und Verständigungspraktiken geworden, so stark, dass es geradezu vorsprachliche Felder in Beschlag nimmt. Das Bild „spricht“ uns sinnlicher, körperlicher an, ist gleichsam unserer Wahrnehmung und Erfahrung intrinsischer eingeschrieben. Es spricht zwar prima facie unseren Sehsinn an, überschreitet diesen aber zugleich auch schon – und dies von Anfang an – hinsichtlich synästhetischer, kinästhetischer, imaginati- ver, sinnlich-leiblicher, medial-performativer Dimensionen, weshalb man durchaus von einer „Tiefendimension des Bildes“ sprechen könnte.

Im interkulturellen Zusammenhang, natürlich nicht nur da, kommt aber noch etwas Ent- scheidendes hinzu: Es gab und gibt vor einem in Wort und Text gefassten Denken ein lebensweltlich verankertes, ein tätiges Leben der Menschen, das gestaltet und gewisser- maßen konserviert in Bau- und Lebensweisen, in Mythologien, Religionen und Riten, in künstlerischen Hervorbringungen ebenso wie in Alltagspraktiken und -gegenständen nicht nur eine eigene „Sprache“ spricht, sondern das die Menschen auf einer weit ele- mentareren Dimension ihres eigenen Selbstverständnisses anspricht. In diesem Sinne können Bilder „Grundbilder“ sein, kulturelle, gesellschaftliche, politische Grundbilder, was aber nun nicht heißt, dass man anhand eines Bildes auch schon den Grund einer Kultur oder Gesellschaft, mithin ihr Begründetsein aufweisen könnte. Mit J.-L. Nancy ließe sich sagen, dass im Bild „der Grund als das (erscheint), was er ist, indem er verschwindet“.

Vor diesen Hintergründen möchte sich die Tagung unter dem Vorzeichen interkulturel- ler Zusammenhänge, Ansätze und aktueller Debatten vor allem folgenden Fragestellungen widmen:

  1. Was macht ein Bild zum „Bild“, worin besteht seine Weite, worin sein Grenze. Kann man von einem „Bilddenken“ sprechen, und wie stünde ein solches zu „Bildwissenschaft“ und „Bildtheorie“?
  2. Was heißt es, mit und an Bildern, evt. gar aus Bildern heraus und schließlich auch über Bilder arbeiten? 3) Was meinen wir, wenn wir von der „Kraft der Bilder“, ihrer

„Macht“, ihrer „Gewalt“ sprechen? Wie stehen diese zueinander? Bilden sie eigenständige, sich voneinander abhebende Dimensionen aus, überlagern sie sich, überlappen sie sich? Fließen sie, bemerkt oder nicht, ineinander über? Oder sind sie eher miteinander verschränkt oder gar verzahnt?

Univ.-Prof. Dr. Georg Stenger