Prof. Dr. Claudia Bickmann, Präsidentin
Prof. Dr. Georg Stenger, kooptierter Präsident

An die Mitglieder
der Gesellschaft für Interkulturelle Philosophie e.V.

 

 27. Dez. 2012

 

Liebe Mitglieder der Gesellschaft für Interkulturelle Philosophie,

mit allen guten Wünschen für ein glückliches und frohes neues Jahr möchten wir in unserem diesjährigen Rundbrief einer Frage Aufmerksamkeit widmen, die wir einigen Ihrer Rückmeldungen entnehmen konnten.

Doch zunächst: Dank des regelmäßig von Karin Farokhifar gestalteten Newsletters werden wir an dieser Stelle auf die reichhaltigen Tagungs- und Vortragsaktivitäten sowie Publikationen der Mitglieder unserer Gesellschaft nicht eigens hinweisen müssen. Wir freuen uns sehr über Ihre so rege Anteilnahme an der Entwicklung der Anliegen und Fragestellungen unserer Gesellschaft.

Aus all Ihren Aktivitäten, Publikationen und Vorträgen wird ersichtlich, wie sehr in unserer Gesellschaft die vielfältigsten Facetten philosophischer Forschung und interkultureller Annäherung ihren Ausdruck finden: Von Arbeiten, die die arabisch-islamische Welt betreffen bis zu eingehenden Kooperationen und Tagungen mit indischen und chinesischen Instituten und Kollegen werden vielfältige kulturelle und politische Räume durch die Mitglieder unserer Gesellschaft schwerpunktmäßig vertreten. Grundlagenbezogene, methodenorientierte Schwerpunkte bilden ebenso wie mehr praktisch-ethische oder ästhetische Fragestellungen, religions- sprach- oder kulturgeschichtliche Analysen fruchtbare publizistische wie vortragsbezogene Beiträge unserer Gesellschaft.1

Dass wir hier auf eine Engführung bezüglich des methodischen oder sachlichen Spielraums inter-/transkultureller Annäherungen verzichten, macht diese reichhaltige poly-perspektivische Ausrichtung unserer Gesellschaft möglich und folgt so ganz dem erklärten Grundsatz: dass sich die Forschungen zur interkulturellen Philosophie nur von den jeweiligen Fragestellungen unserer Mitglieder aus organisieren und sich nicht in einheitlich synthetischer Verklammerung normativ für alle verbindlich regeln lassen. Dies bedeutet nicht Maßstablosigkeit oder Unverbindlichkeit: Doch so vielfältig die Perspektiven der Annäherung der an unseren Fragen Beteiligten sind, so vielfältig sind auch die Kriterien der Anerkennung bzw. Infragestellung. Jeder wird sich von derjenigen philosophischen Tradition beflügeln lassen, die seinen Fragen und Problemstellungen am deutlichsten Ausdruck verleihen bzw. Klärungen ermöglichen kann.

Mit unseren guten Wünschen und Hoffnungen für ein friedliches Jahr 2013 möchten wir jedoch einer Frage besondere Aufmerksamkeit widmen, die wir einigen Ihrer Rückmeldungen entnehmen konnten.  

Häufig wird ein deutlicheres politisches Engagement unserer Gesellschaft gewünscht.

Lassen Sie uns dabei folgendes erwidern: Auch wenn die sich rasch wandelnden geopolitischen und geostrategischen Verhältnisse mehr als nur die schwer kalkulierbaren Rahmenbedingungen unserer Tätigkeit betreffen, so können sie dennoch nicht den Mittelpunkt unserer Annäherung bilden. Denn wenn gelten mag, dass nur Gleiches ein Gleiches erkennt, so lassen sich politische Fragen nur mit politischen Mitteln, gesellschaftliche Probleme nur auf der Ebene gesellschaftlicher Lösungen, (inter-)religiöse Fragen nur auf dem Wege religionsphilosophischer oder religionssoziologischer Verständigung beantworten, etc. Hätte, so könnte man fragen, die Philosophie unter diesen Bedingungen dann nicht all ihre möglichen Handlungsfelder ausgelagert und sie den verschiedenen politischen, sozialen, religiösen Bereichen überantwortet? Stünde sie dann nicht mittel- und hilflos allen weltpolitischen Fragen gegenüber? Darauf würden wir wie folgt antworten: Das Gegenteil ist der Fall. Je mehr sich die jeweiligen Handlungsfelder und Kompetenzbereiche im weltpolitischen Geschehen nämlich gegeneinander separieren und ausdifferenzierten, umso deutlicher wächst – gegenläufig dazu – der inter-/transkulturellen Philosophie eine einzigartige und unersetzliche Aufgabe zu:

Sie ist der einzige Ort, der jenseits aller interessenbezogenen Parteilichkeiten und standortbedingten Selbstbeschränkungen den Blick für diejenigen Horizonte freizugeben vermag, die all unserem politischen, moralischen, kultur- oder religionsbezogenen Handeln zugrunde liegen und die es von fern her leiten. So kann allein die Philosophie zum Ort der Annäherung und des Ausgleichs zwischen gänzlich unterschiedlichen philosophischen, politischen, religiösen, sozialen etc. Interessen und Zugangsarten werden: Die Sprachlosigkeit zwischen verschiedenen, gegeneinander blinden Teilsystemen kann sie überwinden helfen, indem sie in die Prämissen der verschiedenen Systeme hineinzufragen sucht, um dort waltende strukturelle Missverständnisse oder fragliche Grundorientierungen aufzuhellen. Sie kann versuchen, nach der (je kulturspezifischen) Art der Beziehung der getrennten Bereiche zueinander zu fragen, um die verborgenen Selbstverständnisse, etwa bezogen auf die Verhältnisse zwischen Kultur und Natur, Staat und Gesellschaft, Vernunft und Glauben, Denken und Handeln etc., freizulegen. Allein so wird sie den Boden für eine gemeinsame Annäherung bereiten können. Diese Grundhaltung macht es erforderlich, nach den eigenen Fundamenten und basalen Annahmen unserer Selbst- und Weltwahrnehmung zu fragen. Somit geht allem Fremdbezug eine Selbsterhellung der eigenen Prinzipien und Prämissen voraus! Dieser Weg aber kann nur vom je Einzelnen in einer unersetzlichen Weise vollzogen und beschritten werden: Jeder kann nur von seinem Orte aus und mit seinen Leitfragen das gemeinsame Unternehmen einer inter-, trans- oder intrakulturellen Philosophie voranzutreiben suchen. Denn mehr als unsere eigene Urteilskraft haben wir nicht, wollen wir uns nicht in ideologischen oder tradierten Fangnetzen verstricken, deren geheime Inschrift wir nicht kennen.

So ist eine jede Stimme in ihrer Besonderheit und unverrechenbaren Einzigartigkeit für das gesamte Unternehmen unersetzlich. Und dies betrifft nicht nur den Einzelnen in einer Gemeinschaft, sondern auch die Gemeinschaften untereinander: Hier kann nur ein Ethos der Verständigung uns leiten, das allen Verträgen und Verhandlungen, allen Gesprächen und Entscheidungen voraus als Leitlinie gelten mag: eine vorsichtig suchende und fragende Annäherung, ein besonnenes Hinhören, ein Anerkennen der unterschiedlichen Zugänge zu Fragen des Lebens in Gemeinschaft und Staat wie der kulturellen und religiösen Traditionen untereinander. Denn so allein können wir den mühseligen Weg wechselseitiger Verständigung als Voraussetzung gelingenden Handelns betreten. Wir haben, um es ‒ Marx abwandelnd ‒ zu sagen, viel zu lange blind gehandelt: Es ist nun an der Zeit, allererst gründlich nachzudenken! Um solchermaßen einen Blick für die Besonderheit und Individualität der Kulturen und ihrer lang währenden Prägungen zu gewinnen, müssen wir darum zunächst innehalten und aus den handlungsbezogenen Zwängen praktisch-politischer Entscheidungen heraustreten. Nur so gewinnen wir die nötige Distanz zu den schnelllebigen Ereignissen, deren nähere Bedeutung sich ohnehin erst dem besonnenen Blick aus der Ferne erschließt. So stand etwa der arabische Frühling von Beginn an unter dem Verdacht allzu deutlicher Einflussnahme seitens des Westens, wodurch ungewollt Gegenreaktionen hervorgerufen wurden, die erschwerten, wo sie nutzen sollten. Nicht Handlungabstinenz, aber Handlungsverzögerung auf der Grundlage gewonnener Einsichten müsste das gemeinsame Anliegen sein.

Es wäre schön, wenn Sie weiterhin Ihre Wünsche an uns richten würden, falls Sie Tagungen im Rahmen unserer Gesellschaft veranstalten wollen, über Ihre Aktivitäten berichten wollen oder Vorschläge und Anregungen für die Gestaltung unserer gemeinsamen Arbeit haben sollten. Eine erfreuliche Nachricht noch zum Schluss. Die Höhe des jährlichen Mitgliedsbeitrages wird sich auch 2013 nicht ändern. Er beträgt weiterhin 25,– € für reguläre und 12,– € für Studentische Mitglieder.

Nun wünschen wir Ihnen nochmals ein glückliches und gesegnetes neues Jahr. Wir würden uns sehr freuen, wenn wir auch weiterhin auf Ihre großzügige Unterstützung, auf Ihre Anregungen und Teilnahme an unseren gemeinsamen Aktivitäten rechnen könnten

Im Namen unseres gesamten Vorstandes
seien Sie herzlichst gegrüßt

 

gez. Prof. Dr. Claudia Bickmann, Präsidentin

gez. Prof. Dr. Georg Stenger, kooptierter Präsident